Versorgungsqualität

Die Aufholjagd startet

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2024

Im Gesundheitswesen zeigt sich, dass die Digitalisierung dieses gesellschaftlich hoch relevanten Sektors noch weit von den vor Jahren verkündeten Zielen entfernt ist. Dabei könnte die konsequente und nachhaltige Nutzung neuer Technologien die Versorgungsqualität der Menschen erhöhen und die Forschung an neuen Behandlungsmethoden verbessern.

Mit digitalen Tools die Gesundheit im Griff
Mit digitalen Tools die Gesundheit im Griff Foto: iStock / Panuwat Sikham

Das deutsche Gesundheitssystem wird digital – das hören wir schon lange. Viel haben wir in den vergangenen Jahren über die Digitalisierung in Krankenhäusern, Arztpraxen, Krankenkassen und der Verwaltung dazu gehört, gesprochen und gelesen; doch wenig haben wir erlebt. Rezepte von der Hausärztin oder dem Facharzt sind noch auf rosafarbenem Papier gedruckt. Die elektronische Patientenakte, die ePA, spielt noch keine Rolle. 
Ändert sich das nun? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat eine Digitalisierungsstrategie auf den Weg gebracht, mit der das Gesundheitssystem endlich den Sprung ins 21. Jahrhundert schaffen soll. „Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger verantworten“, sagt der Minister. Bislang verfüge die Bundesrepublik über keine „gute Digitalisierung der Versorgung“ und über keine „gute Nutzbarkeit der Forschungsdaten“, so Lauterbach. Dafür sollen regulatorische Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Strategieumsetzung geschaffen werden.

Konkrete Ziele für eine bessere Versorgungsqualität

Ob das nun auch wirklich so eintreten wird, bleibt abzuwarten. Zumindest sind erste konkrete Ziele in der Digitalisierungsstrategie mit ihren zwei Gesetzen formuliert. So sollen gemäß dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen bis 2025 unter den gesetzlich Versicherten 80 Prozent eine elektronische Patientenakte haben. Ausgestellt wird diese direkt von den Krankenkassen – wer keine digitale Akte will, muss widersprechen. Die Versicherten greifen künftig direkt über das Smartphone auf ihre Daten zu. Und auch das E-Rezept soll vom Beginn des kommenden Jahres an zum verpflichtenden Standard werden. Es wird dann sowohl via Gesundheitskarte als auch über die ePA-App verfügbar sein. Die Verknüpfung von ePA und E-Rezept erhöht künftig auch die Arzneimittelsicherheit. Zudem sollen bis zum Ende des übernächsten Jahres 80 Prozent der ePA-Nutzenden, die in medikamentöser Behandlung sind, über eine digitale Medikationsübersicht verfügen, um ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln zu vermeiden. 

Innovationen in der Versorgung sollen assistierte Telemedizin in Apotheken und den Gesundheitskiosken bringen. Bis 2026 wiederum soll es in mindestens 60 Prozent der hausärztlich unterversorgten Regionen eine Anlaufstelle für assistierte Telemedizin geben. Chronisch Kranke werden zudem über digitalisierte Disease-
Management-Programme (dDMG), die integraler Bestandteil der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sein sollen, unterstützt.

Daten für die Forschung

Als zweiten Part der Digitalisierungsstrategie hat das Kabinett das Gesundheitsdatennutzungsgesetz auf den Weg gebracht. Das Gesetz soll dafür sorgen, dass Gesundheitsdaten leichter für gemeinwohlorientierte Zwecke verwendet werden können. „Zukunftsweisende Forschung wird erst dadurch möglich.“ Deutschland habe zwar viele gute Projekte und Köpfe für medizinische Forschung. „Eigentlich ist alles da. Aber uns fehlen die Daten“, so Lauterbach. Werde dieses „Datendefizit“ nicht beseitigt, verliere Deutschland weiter Anschluss an die internationale Spitze, also an Länder wie die USA, Großbritannien oder auch Israel, die bei Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) inzwischen weit voraus seien.

Pseudonymisierte Daten aus der elektronischen Patientenakte, Abrechnungsdaten der Krankenkassen und Informationen aus dem Krebsregister sollen künftig besser verknüpft werden. Die systematische Auswertung von medizinischen Daten trägt künftig dazu bei, Krankheiten früher zu erkennen, individuell ausgerichtete Therapien zu ermöglichen und neue Heilungschancen zu eröffnen. Eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle erleichtert Forschenden den Zugang zu den Daten. Bis Ende 2026 sollen mindestens 300 Forschungsvorhaben mit Gesundheitsdaten durch das „Forschungsdatenzentrum Gesundheit“ realisiert werden. Patienten können selbst darüber entscheiden, ob sie ihre Daten aus der ePA der Forschung zur Verfügung stellen. „Moderne Medizin basiert auf Digitalisierung und Daten. Ihre Vorteile zu nutzen macht Behandlungen besser“, sagte Lauterbach bei der Vorstellung seiner Digitalisierungsstrategie. 

Klar ist: Die von Lauterbach vorgestellte Strategie ist ein wichtiger Schritt Richtung Aufbruch in eine digitalisierte Zukunft des Gesundheitswesens. Klar ist aber auch: Allein diese Maßnahmen machen Deutschland noch lange nicht zum Vorreiter in Sachen Digitalisierung. E-Rezept und digitale Patientenakte sind in anderen westlichen Ländern seit vielen Jahren Standard. Zudem braucht es für ein auf Big-Data- und KI-Auswertung basierendes Gesundheitssystem auch mehr als eine digitale Patientenakte, in der Befunde per PDF gesammelt werden. 

Einheitliche Standards schaffen

„Wir haben zwar viele Daten, aber eigentlich haben wir sie nicht. Denn wenn man sie nutzen will, brauchen wir sie in einer hohen Qualität und strukturiert“, erklärt Jared Sebhatu, Vorstand der digital health transformation eG. Das bedeutet: Bevor aus den in Praxen und Krankenhäusern erzeugten Datenbergen Wissen wird, bevor die Potenziale und Synergien für die Menschen, die damit arbeiten müssen, nachvollziehbar werden, steht erst einmal viel Arbeit an: Die Daten müssen vereinheitlicht, strukturiert und so gesammelt und aufbereitet werden, dass sie mit verschiedenen Systemen automatisch ausgelesen, erfasst und analysiert werden können. Und: Es müssen auch Alle mitmachen. Die Voraussetzung erfolgreicher Digitalisierung ist die Einigung auf einheitliche Standards und ihre Nutzung. Sind diese nicht vorhanden, gibt es auch keine brauchbaren Auswertungen zum Nutzen aller. Der medizinische Fortschritt wird gebremst. „Das große Mehrwertversprechen der Digitalisierung ist, dass wir es schaffen, die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Person zu bringen“, sagt Sebhatu. „Wenn wir das geschafft haben, werden wir auch sehen, dass wir positive Versorgungseffekte erzeugen können.“

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