Digitalisierung des Gesundheitswesens

Viel Luft nach oben

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2023

Veraltete Technik, unzureichende Vernetzung, fehlende digitale Strukturen, mangelhafte Datennutzung, unzureichende Kompetenzen – die Coronakrise der vergangenen zwei Jahre zeigt klar auf: Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens gibt es mehr Fehlschläge als Erfolge. Vielleicht sollten wir die Transformation noch einmal von vorne beginnen.

Ein Arzt begutachtet CT-Scans auf einem Raum voller Bildschirme.
Foto: iStock / gorodenkoff

Nutzen Sie bereits die elektronische Patientenakte oder das E-Rezept? Nicht? Wir auch nicht. Woran liegt das? Nun, zunächst sicherlich an der mangelnden Bekanntheit. Ja, beides ist bereits eingeführt und könnte theoretisch von 73 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland genutzt werden. Nur weiß das kaum jemand. Und selbst wenn, ist es derzeit nicht ganz einfach, an die digitalen Gesundheitslösungen heranzukommen. 

Beispiel E-Rezept: Wollen Sie die Verordnungen für Ihre verschreibungspflichtigen Medikamente zukünftig digital erhalten, müssen Sie zunächst einmal ganz persönlich zu Ihrer Krankenkasse gehen und eine neue Gesundheitskarte samt PIN beantragen. Halten Sie diese dann in den Händen, laden Sie sich die App der Gematik, die für die Umsetzung des E-Rezepts zuständig ist, herunter und lassen sich das Rezept dorthin übermitteln – vorausgesetzt natürlich, Ihre Ärztin oder Ihr Arzt verfügt über die technischen Möglichkeiten, Ihnen ein solches E-Rezept auszustellen. Denn flächendeckend sind die notwendigen technischen Nachrüstungen mit Updates für Konnektoren – also Router – und die Apotheken-Software erst Mitte 2023 verfügbar. 

Alternativ kann Ihnen das Rezept auch als QR-Code ausgedruckt werden – Sie holen den Ausdruck dann in der Praxis ab und lassen ihn in der Apotheke einscannen und erhalten so Ihr Medikament. Das Beispiel zeigt: Bei der digitalen Transformation im Gesundheitsweisen ist noch viel Luft nach oben.

Kaum genutzt

Und so verwundert es auch nicht, dass in diesem Jahr bisher nur etwa 525.000 digitale Rezepte ausgestellt wurden. Zum Vergleich: Pro Jahr werden in Deutschland rund 500 Millionen rosa Medikamentenzettelchen ausgedruckt – das E-Rezept kommt also gerade mal auf einen Anteil von 0,1 Prozent. 

Das elektronische Rezept funktioniere nicht, sondern werde vielfach noch immer in Papierform ausgestellt, bemängelt auch Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Und nicht nur das: Auch bei der elektronischen Patientenakte, kurz ePA, hapert es. Sie werde kaum genutzt, sei medizinisch nur ein elektronischer Aktenordner, den der Patient nach Gutdünken fülle, und funktioniere in den Praxen nicht reibungslos.

Alles auf Anfang

„Man muss jetzt den Mut haben, offenkundig dysfunktionale Technologien zu beenden, frisches Geld in die Hand zu nehmen, und das Ganze noch mal neu aufsetzen“, so Gassen. Das werde vielleicht noch einmal mehrere Milliarden Euro kosten. „So aber verbrennt die Digitalisierung auch viel Geld und hemmt die Praxen bei ihrer Arbeit und bringt letztlich nichts.“ Für die Praxen sei eine solche „Pseudodigitalisierung“ nur ein teures Ärgernis. Ein vernichtendes Urteil für die Digitalisierungsbestrebungen im deutschen Gesundheitswesen. Dabei müsste das jetzt dringender denn je zukunftsfähig und digital aufgestellt sein. Gerade im Gesundheitsbereich würden alle davon profitieren, meint Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK): Digital-Health-Start-ups, Produzenten für Medizintechnik und Arzneimittel ebenso wie Fachkräfte, Krankenhäuser, Krankenkassen – und allen voran natürlich jeder einzelne Patient. Wäre die elektronische Patientenakte mit vollen Funktionen bereits zu Beginn der Pandemie in der Versorgung etabliert gewesen, hätten wir einige Herausforderungen wahrscheinlich schneller bewältigen können. „Wir sollten mit besseren Verfahren die Potenziale in der Versorgung und in der Forschung der Unternehmen besser ausschöpfen können“, fordert Dercks.

Alle würden von einer Digitalisierung des Gesundheitswesens profitieren

Allgemein könnten im Gesundheitswesen durch eine konsequente Nutzung der Digitalisierung und mehr Innovation sowohl die Wertschöpfung als auch die Versorgung insgesamt verbessert werden. So kann Künstliche Intelligenz (KI) helfen, seltene Erkrankungen leichter zu diagnostizieren. Würde Telemonitoring bei chronischen Krankheiten flächendeckend eingesetzt, könnten therapeutische Maßnahmen schneller eingeleitet werden. „Die konsequente Nutzung der Digitalisierung kann zu einem sinnvolleren Einsatz der knappen Fachkräfte beitragen und zugleich die Qualität der Versorgung steigern“, bestätigt DIHK-Vizechef Dercks. „Dies wirkt sich perspektivisch auch positiv auf die Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen aus – und das kommt der gesamten Wirtschaft zugute. Aufgrund der demografischen Entwicklung müssen Belegschaften insgesamt gesünder und damit verbundene Zusatzkosten für den Faktor Arbeit auch langfristig bezahlbar bleiben.“ Zudem habe sich in der Pandemie gezeigt, wie wichtig eine leistungsfähige Gesundheitsforschung für eine zügige Entwicklung von Impfstoffen sei. Es sei daher wichtig, dass die Gesundheitsforschung weiter gestärkt und dabei auch die Möglichkeiten der Datennutzung verbessert werden, seien Daten doch nicht nur eine wesentliche Grundlage für digitale Geschäftsmodelle, sondern auch für viele Hersteller von Arzneimitteln oder Medizinprodukten.

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